Virtual Reality – Chancen für die Druckindustrie
14.12.2017
Das letzte Kolloquium in diesem Jahr entführte die Teilnehmer in eine virtuelle Welt. Aber was hat Virtual Reality mit der Druckindustrie zu tun?
Etwas länger als vielleicht üblich und auf angenehm unterhaltsame Art stellte sich der Referent Frank Bayerl vor. Zu seiner Lehre als Offsetdrucker sei er nur deshalb gekommen, weil die gerade als Beruf mit Abitur angeboten wurde, und im anschließenden Studium der Technologie der Polygrafie an der Technischen Hochschule Leipzig, einer Vorgängereinrichtung der HTWK Leipzig, war er nach eigenen Worten ein „sehr, sehr durchschnittlicher“ Student.
Der Berufseinstieg in Köln machte bald deutlich, dass die Ausbildung hier in Leipzig erstklassig war. Wenige Jahre nach dem Berufseinstieg als Verkaufsleiter übertrug man ihm die Verantwortung als Geschäftsführer der Julius Fröbus GmbH, eines 70 Mitarbeiter zählenden Mediendienstleistungsbetriebes. „Ich konnte die Welt bereisen, tolle Produkte herstellen und für wichtige Kunden arbeiten.“ Da schwingt schon ein gewisser – berechtigter – Stolz mit. Letztendlich fühle er sich aber auch nach rund zweieinhalb Jahrzehnten im entfernten Köln noch als überzeugter Leipziger, weshalb es eine Freude sei, wieder hier zu sein, dankte Bayerl für die Einladung. Er stellte außerdem zwei Mitarbeiter vor, die ihn auf dieser Veranstaltung unterstützten: die Kunsthistorikerin Joanna Figiel und Ralf Meyer, Produktfotograf.
Die Firma Julius Fröbus GmbH ist ein Mediendienstleister, der aus dem Druckbereich kommt, aber inzwischen auch Medienkanäle bedient. Produkte, die nur noch digital im Internet veröffentlicht werden, machen immerhin 30 Prozent des Umsatzes aus. Für die Erstellung dieser realitätsnahen, dreidimensionalen Abbildungen, die den Nutzer in eine virtuelle Welt entführen, werden zwei Verfahren genutzt.
Mittels Fotogrammetrie wird ein reales Objekt in einer Vielzahl von Einzelfotos abgebildet. Das Objekt wird mit einer speziellen Messkamera aus unterschiedlichen Perspektiven aufgenommen. Währenddessen dreht sich der Objekttisch um 360°. Die Kamera ist mit einem Ortungssystem ausgestattet und erfasst gleichzeitig den Aufnahmewinkel zum Objekt, so dass mit Hilfe einer Software für jede einzelne Aufnahme die Stellung zum Objekt hinterlegt wird. Darüber lassen sich Lage und dreidimensionale Form des Objektes bestimmen.
Für die zweite Art der Datengewinnung werden keine realen Gegenstände benötigt, hierfür stehen Konstruktionsdaten zur Verfügung. Unter CGI – Computer-Generated Imagery – versteht man die Erzeugung von Bildern mittels 3D-Computergrafik für die Nutzung im Bereich der Filmproduktion, Computersimulation oder für visuelle Effekte.
Das Besondere der bei Fröbus erstellten Simulationen ist die Druckfähigkeit in hoher Auflösung. Aus einem Datensatz können somit unterschiedliche Medienkanäle bedient werden, was beweist, dass 3D-Welt und Druckwelt sehr gut zusammenpassen.
Der Referent stellte einige spannende Anwendungsbeispiele aus dem Automotive- und Kulturbereich vor.
Mag man für Bücher und Verpackungen Blindbände und Weißmuster mit vertretbarem Aufwand und akzeptablen Kosten herstellen können, sieht das bei einem ICE für die Deutsche Bahn anders aus: ein halbes Jahr Bauzeit, weit über 5 Mio. Euro Kosten und nach der Erstbesichtigung Verbesserungsbedarf und erforderliche Nacharbeit ebenfalls in Millionenhöhe. Hier ersetzt das virtuelle Modell den teuren Musterbau. Eine räumlich und farblich adäquate Reproduktion erlaubt den virtuellen Gang durch den ICE und reduziert Kosten erheblich.
Wer ein Auto kauft, möchte am liebsten in seiner PKW-Version mit Wunschausstattung eine Probefahrt machen. Rot oder Schwarz? Welche Felgen passen am besten? Und wie sieht die Innenausstattung aus? Kein Autohändler kann Tausende Farb- und Ausstattungsvarianten eines Fahrzeugtyps zur Verfügung halten. Die vom Hersteller gelieferten CAD-Daten können aber derart bearbeitet werden, dass sie von einem echten Foto nicht zu unterscheiden sind. Mittels Online-Konfigurator werden „Produkte lebendig, bevor sie gebaut werden.“ Der Kunde kann online sein Wunschauto konfigurieren, zumindest virtuell einsteigen und erhält aus gleichem Datensatz auch Prospekt und Handbuch gedruckt.
Was mit Kulturerbe passieren kann, zeigte vor einigen Jahren der Zusammensturz des Kölner Stadtarchivs bei Straßenbauarbeiten. Jahrhunderte altes Kulturgut ging dabei unwiederbringlich verloren. Museen verfügen über Kulturschätze, von denen der überwiegende Teil in Archiven und Depots schlummert. Auch hier setzt Fröbus an, denn Digitalisierung und neue Art der Produktpräsentation machen Kunstschätze und Museumsstücke einem breiten Publikum zugänglich. Man muss nicht mehr von China nach Paris reisen, da Vincis Mona Lisa rückt zum Greifen nah. Greifen, Anfassen – das allerdings bleibt der virtuellen Welt verwehrt, doch auch im Louvre wird man schnell des Museums verwiesen, sollte man nach der Mona Lisa die Hand ausstrecken.
Beim Besuch einer Buchhandlung mag man kaum glauben, dass es auch Bücher für 22.000 Euro gibt. Natürlich wird man diese Exemplare nicht auf der Verkaufstheke im Buchgeschäft finden, vielleicht in einer gut verschlossenen Vitrine. Der Betrachter ist dann allein auf diejenige Buchseite angewiesen, die der Buchhändler für attraktiv hält. Die ohnehin vorhandenen digitalen Reprodaten gestatten eine Umsetzung nicht nur zum physischen Druckprodukt, sondern zu einem Buch, das sich in der interaktiven virtuellen Umgebung aufschlagen, in dem sich blättern lässt und in dem Ausschnitte vergrößert werden können. In Kombination mit Online-Anbindung lassen sich Objekte herausziehen und über den Seiten kreisen oder in eine Parallelwelt integrieren.
Für die Gestaltung einer standardisierten virtuellen Welt sieht der Referent gegenwärtig noch Forschungs- und Entwicklungspotenzial. Das liege zum einen in einem noch fehlenden Colourmanagement für die 3D-Aufnahmen, besonders bei metallischem Glanz. Eine möglichst farbgetreue Abstimmung der entstandenen Fotos mit dem Original erfolge derzeit aufwendig manuell. Schwierigkeiten bereitet auch der Umgang mit Transparenzen. Transparente Objekte beispielsweise aus Glas, wie sie in Museen gezeigt werden, lassen sich fotogrammetrisch noch nicht aufnehmen. Und auch eine geordnete Ablage in Datenbanken, mit denen Museen digitale Archive anlegen können, ist für solch umfangreiche Daten noch nicht gelöst.
Aber hier gibt Bayerl auch gleich den Lösungsansatz. „Die Daten sind ein wohlschmeckender Wurm an der Vertriebsangel der Druckereien.“ Denn welche Industrie kann mit Bilddaten umgehen und erstellt und pflegt große Datenbanken und produziert aus ihnen? Und wo gibt es ein einheitliches, durchgängiges Colourmanagement? Natürlich – in der Druckindustrie. Sie muss nur ihre Chancen erkennen.
Nach den theoretischen Ausführungen ging es für die Teilnehmer ins Museum – ins virtuelle natürlich. Besichtigt wurde eine Madonnen-Statue, die wahlweise im weißen Umfeld (White Cube) oder einem Museum zu sehen war. Besonders beeindruckte allerdings der Schritt auf einen Balkon, von dem man gefühlt 20 Meter in die Tiefe zum Fuß der Statue blicken konnte – mit dem großen Verlangen sich am Geländer festzuhalten, um nicht in die Tiefe zu stürzen.
Referent Frank Bayerl ist Absolvent der Technischen Hochschule Leipzig, Vorgängereinrichtung der HTWK Leipzig, und schloss sein Diplomstudium Technologie der Polygrafie 1991 ab.
Text und Foto: Inés Heinze